An Schule in Neuss "Scharia-Polizisten" wollten Schüler steinigen und forderten schulfrei fürs Gebet "Dass es jetzt in der Schule so aufbricht, ist schon gravierend"

Stand: 12.01.2024

Eine Schülergruppe aus Neuss soll versucht haben, die Scharia durchzusetzen. Laut eines Berichts der "Rheinischen Post" beschäftigen die Vorkommnisse auch den Staatsschutz. Nun gab NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) eine Erklärung dazu ab.

FOCUS-online-Reporter Axel Spilcker

Mittwoch, 17.01.2024, 09:33

An einer Gesamtschule in Neuss versuchten Jugendliche, strenggläubige islamische Regeln durchzusetzen, darunter Geschlechtertrennung und archaische Strafen. Dieser Fall reiht sich ein in die zunehmenden Radikalisierungstendenzen an Schulen.

Frank Rumpenhorst/dpa
Radikale Tendenzen in Schulen

Offenbar wollten vier Jugendliche an einer Gesamtschule in der Neusser Nordstadt die Regeln der Scharia einführen. Die "Rheinische Post", die zuerst berichtete, sprach von einer Art Scharia-Polizei an der Gesamtschule. Die Oberstufenschüler im Alter von 17, 18 und 19 Jahren sprachen sich im Unterricht ferner für archaische Strafen wie die Steinigung aus, wie FOCUS online aus Staatsschutzkreisen erfuhr.

Unisono lehnten sie demzufolge die Demokratie ab. Offenbar haben sie darauf gedrängt, die Geschlechter zu trennen - im Klassenraum wie beim Schwimmunterricht. Wie zu erfahren war, setzten die Cliquenmitglieder muslimische Mitschüler unter Druck, die strengen Vorschriften der erzkonservativen Auslegung des Islam zu befolgen: Sie sollten den Hosenbund über den Schuh krempeln, fünf Mal am Tag beten, um dem Vorbild des Religionsstifters Mohammed vor knapp 1400 Jahren nachzueifern.

Wer sich weigerte, wurde als schlechter Muslim beschimpft. Schülerinnen sollten sich auf Geheiß der Scharia-Verfechter bedecken und verschleiern. Zum Freitagsgebet am frühen Nachmittag sollte es früher schulfrei geben. Auch forderte die Gruppe einen eigenen Gebetsraum in der Lehrstätte ein.

Radikale Tendenzen finden sich vermehrt in Schulen wiederfinden

Unter dem Begriff Scharia werden alle Gesetze und Normen gefasst, die aus dem Koran und der Sunna des Propheten hervorgehen. Die Sunna ist eine große Sammlung von Überlieferungen über das Verhalten und Aussprüche des Propheten Mohammed, der im 7. Jahrhundert lebte. In hiesigen Salafistenkreisen gelten Koran und Sunna als die einzige Richtschnur für die Lebensweise, westliche Normen werden abgelehnt.

Radikale Tendenzen, die sich offenbar vermehrt in Schulen wiederfinden. Im Sommer 2023 versuchten strenggläubige Schülerinnen und Schüler an einem Bonner Gymnasium einen islamischen Sitten- und Kleiderkodex durchzusetzen. Auch hier sollen Mitschüler und Mitschülerinnen entsprechend unter Druck gesetzt worden sein.

Ähnliche Szenen sollen sich nun auch in Neuss ereignet haben.

Schulleitung informiert Polizei über die extremistischen Umtriebe

Der Fall sorgte für enormes Aufsehen. Die Schulleitung hatte im Dezember die Polizei über die extremistischen Umtriebe informiert. Seither prüfe man die Vorgänge auf strafwürdiges Verhalten, erklärte die Düsseldorfer Staatsanwältin Laura Neumann auf Anfrage von FOCUS online. Drei der betroffenen Schüler haben einen arabischen Migrationshintergrund, der vierte einen italienischen. Die jungen Salafisten sollen sich mithilfe von Videos der Internet-Hassprediger Amor Ben Hamida und Pierre Vogel radikalisiert haben.

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Vogel agitiert über seinen TikTok-Kanal für die radikal-islamische Salafisten-Ideologie. Ende Oktober 2023 begrüßte der Ex-Boxer den berüchtigten kurdisch-libanesischen Berliner Clanchef Arafat Abou-Chaker als Interviewpartner. Es ging um den Konflikt zwischen Israel und der palästinensischen Islamistengruppe Hamas. Als Abou-Chaker im Live-Stream den Judenstaat mit dem NS-Regime verglich, nickte Vogel zustimmend. "Für mich ist Adolf Hitler besser als Netanjahu", tönte Abou-Chaker unwidersprochen. Hitler habe wenigstens die Juden sofort umgebracht, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lasse die Palästinenser leiden.

Vogel, der längere Zeit bei den Hardcore-Salafisten als zu nachlässig galt, scheint vor allem in NRW wieder mehr Anhänger zu gewinnen. Im August hat bereits der Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) vor der neuen Missionskampagne "Was danach" der "Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft" (DMG) gewarnt. Als Galionsfigur fungierte Pierre Vogel.

Sozialen Medien als Radikalisierungsmaschine

"Schauen Sie bitte genau hin, wer Ihnen auf der Straße im Vorbeigehen einen Zettel in die Hand drückt und vor allem, was darauf steht", appellierte Reul an die Bürger. Seit Jahren wirken insbesondere die sozialen Medien als Radikalisierungsmaschine für hiesige junge Muslime. Auf einschlägigen Plattformen rufen die Terrorbrigaden von Al-Qaida und dem "Islamischen Staat" (IS) zu Anschlägen in Europa und Deutschland auf.

Gerade die Tiraden der afghanischen Filiale in der ehemaligen Provinz Khorasan (ISPK) finden fruchtbaren Boden. Ein 15-jähriger Gesamtschüler aus dem bergischen Burscheid und sein 16-jähriger Komplize aus Brandenburg planten, auf einem Weihnachtsmarkt in Leverkusen einen kleinen Lkw in die Luft zu sprengen. Anschließend sollte es laut Plan nach Afghanistan zur ISPK gehen. In Chats heizten sich die Nachwuchs-Dschihadisten mit Terror-Videos aus dem Internet an.

Der Fall von Siham O.

Wie schnell die digitale Gehirnwäsche funktioniert, belegt der Fall von Siham O. Über Instagram knüpfte die junge Frau in Wiesbaden als Oberstufenschülerin den Kontakt zu einer ominösen "Fatima" in Syrien. Letztere überzeugte die Teenagerin, dem IS zu huldigen. Fortan erschien Siham O. nur noch verschleiert im Gymnasium. In der elften Klasse brach die Deutsch-Marokkanerin den Schulbesuch ab. Alarmiert durch die Eltern, verhörte der Staatsschutz die Salafistin. Auf ihrem Handy fand sich reichlich IS-Propaganda. Bei der Vernehmung erklärte Siham O. im Jahr 2017, dass der Islam nicht mit der Demokratie vereinbar sei.

Zuletzt sorgten die Hamas-Massaker in Israel und die darauffolgenden Militärschläge des Judenstaates im palästinensischen Gaza-Streifen gerade unter muslimischen Schülern und Schülerinnen für Diskussionsstoff. Zu dem Schluss kommt das Präventionsprojekt "Wegweiser", mit dem der NRW-Verfassungsschutz junge Menschen vor dem Abstieg in die Islamisten-Szene bewahren möchte.

Im Jahr 2023 stellten die "Wegweiser"-Verantwortlichen "einen erhöhten Beratungsbedarf und ein Bedürfnis an Sensibilisierungen an Schulen fest". Zuletzt ging es auch verstärkt um den aktuellen Nahost-Konflikt. Bis zum Herbst 2023 wurden insgesamt über 1000 Sensibilisierungsveranstaltungen von "Wegweiser" durchgeführt - überwiegend in Schulen.

Bezirksregierung in Düsseldorf spielt Vorkommnisse in Neuss herunter

Unterdessen versucht die zuständige Bezirksregierung in Düsseldorf als Aufsichtsbehörde für Schulen, die Vorkommnisse in Neuss herunterzuspielen. Demnach haben die vier Schüler nicht für die Einhaltung der Scharia agitiert, sondern "in Einzelgesprächen mit Lehrkräften geäußert, dass sie eine strenge Auslegung des Islams befürworten", erklärte eine Sprecherin der Behörde auf Anfrage von FOCUS Online.

Die Schüler haben vereinzelt auch gegenüber Mitschülerinnen und -schülern diese Auffassung vertreten. Von einem Auftreten als 'Scharia-Polizei' an der Schule kann in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden." Es habe keine akute Notfallsituation gegeben, so die Sprecherin. Insgesamt könne der Umgang an der Schule mit den Vorfällen als umsichtig bezeichnet werden, hieß es. Warum die Schulleitung Ende 2023 den Staatsschutz einschaltete, bleibt bisher ein Rätsel.

Anja Bensinger-Stolze von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kennt das Islamismus-Problem noch aus ihrer Zeit als Chefin der Hamburger Dependence. "Für diese Herausforderungen sind die Kollegen und Kolleginnen schlecht ausgestattet." Zum einen fehlt es an ausreichendem Personal, zum anderen werden viele Lehrkräfte in Aus-, Fort- und Weiterbildung nicht ausreichend auf Themen wie politischen und religiösen Extremismus vorbereitet. "In dem Bereich werden die Schulen häufig allein gelassen", berichtet das GEW-Vorstandsmitglied.

"In deutschen Schulen gilt das Grundgesetz und nicht die Scharia"

Längst avanciert der Fall zum Politikum. Der Neusser Landtagsabgeordnete Jörg Geerlings betont: "In deutschen Schulen gilt das Grundgesetz und nicht die Scharia. Wir haben viele Präventionsangebote, mit denen wir für unsere demokratischen Werte werben und Extremismus entgegenwirken wollen", erklärt der CDU-Politiker. "Wo nötig, müssen wir solche Angebote ausbauen. Gleichzeitig gilt: Wer sich unseren Grundwerten verweigert, dem begegnen wir mit klarer Kante und voller Härte des Gesetzes."

Aus Sicht von Dilek Engin, schulpolitische Sprecherin der SPD, "sind die Vorfälle an der Schule in Neuss alarmierend". Religiöse Fanatiker und Eiferer dürften an den Schulen nicht geduldet werden, forderte Engin. "Zum Schutze unserer muslimischen Schüler und Schülerinnen sowie der Bewahrung eines friedvollen Miteinanders an unseren Schulen."

An den Schulen brauche es noch mehr Dialog, Aufklärung und die Vermittlung von Medienkompetenz, "damit wir den Extremisten den Nährboden nehmen", resümiert FDP-Fraktionsvize Marc Lürbke. "Islamistische Machtfantasien wie eine Sharia-Polizei an Schulen sind in unserer liberalen Demokratie inakzeptabel."

Erste Schüler konvertierten bereits zum Islam

Von: DIMITRI SOIBEL

19.01.2024 - 11:18 Uhr

Neuss (NRW) - Oberstufen-Schüler wollten an einer Gesamtschule in Neuss ultrastrenge Islam-Regeln durchsetzen und führten sich wie eine "Scharia-Polizei" auf. Sie lehnten die Demokratie ab und setzten Mitschüler unter Druck.

Der Staatsschutz ermittelt nun an der Gesamtschule Nordstadt in Neuss
Foto: Uli Engers

BILD erfuhr nun von den Mitschülern, wie die Islamisten auf die Schule Druck ausübten. Es ist ein erschreckender Vorgang, der sich mitten in Deutschland abspielte.

Vor rund einem Jahr verhielten sich mehrere Schüler an der Gesamtschule Nordstadt in Neuss ( NRW) sichtbar anders. Den Schülern fielen mehrere Klassenkameraden auf, die sich auf dem Schulgelände zu einem islamischen Gebet versammelten.

Einige junge Männer aus dieser Gruppe verließen noch vor dem Unterrichtsende am Freitag die Schule, um in einer Moschee an einem Freitagsgebet teilzunehmen. "Dabei gab es eine klare Ansage von den Lehrern, dass sie dies nicht tun dürfen", so eine Schülerin zu BILD.

Auch als muslimische Lehrer hinzugezogen wurden und diese den Schülern (angeführt von einem 19-jährigen Rädelsführer aus dem 12. Jahrgang) erklärten, dass sie ihr Freitagsgebet verschieben könnten, dies von der Religion erlaubt sei, zeigte das keine Wirkung.

Kurze Zeit später forderten diese Schüler einen Gebetsraum. Es kamen Beschwerden von anderen Schülern, dass sie unter Druck gesetzt würden, islamische Vorschriften einzuhalten. Die Gruppe machte laut Zeugen in der Schule nicht mal halt vor muslimischen Lehrern. Auch sie wurden wegen der Nichteinhaltung von islamischen Regeln ermahnt.

Hinter diesen Mauern sollten muslimische Schüler Scharia-Gesetze befolgen
Foto: Uli Engers

In der Schule wurde dann in der Folgezeit beobachtet, wie die Zahl der streng gekleideten Mädchen zunahm.

Mehrere Schüler folgten anscheinend aus Angst den Anweisungen der Gruppe. Einige nicht muslimische Schüler konvertierten zum Islam. Die Gruppe forderte dann, dass geschlechtergetrennte Veranstaltungen in der Schule und während des Schwimmunterrichtes stattfinden sollten.

Damit nicht genug: "Während des Unterrichts konnte man beobachten, wie sich die Sitzordnung in den Klassen änderte", so eine Schülerin. "Die Schüler setzten sich getrennt nach Geschlechtern, wobei die Jungen im vorderen Teil der Klasse saßen, die Mädchen nach hinten verbannt wurden. Beim Ansprechen schauten die Schülerinnen den männlichen Lehrern nicht mehr ins Gesicht."

Als die Schule reagierte, lehnten die Mitglieder der Islamisten-Gruppe das deutsche Rechtssystem ab.

Laut dem Magazin Focus soll die Gruppe von Steinigung als Strafe für Verstöße gesprochen haben. Dieser Darstellung widerspricht allerdings die Bezirksregierung Düsseldorf.

Die Schule schaltete nach diesen Gesprächen den Staatsschutz ein, der jetzt ermittelt.


Quellen:
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